Meine Rede zur aktuellen Stunde. Das Video findet ihr hier.
Sehr geehrter Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren! Wir reden heute kurz vor der Mittagszeit über den Mittelstand. Der hessische Mittelstand ist ein wichtiges Thema. Grundsätzlich ist gut, dass es die SPD auf die Agenda gesetzt hat, weil es auch Anlass gibt, grundsätzlich zu schauen, wie der Mittelstand in Hessen überhaupt aufgestellt ist. Über 99 % der hessischen Unternehmen gehören dem Mittelstand an. Kleine und mittlere Unternehmen sind – das kann man unzweifelhaft feststellen – das Rückgrat unserer hessischen Wirtschaft. „Der Mittelstand“ klingt so abstrakt. Aber was ist der Mittelstand überhaupt und wer gehört dazu? Das ist die Bäckerin von nebenan, über die gerade so viel gesprochen wird.
Das sind in Hessen aber auch und in großen Teilen das produzierende Gewerbe, das Baugewerbe oder der Handel, aber auch die vielen freiberuflich tätigen Menschen.Sie sorgen für Ausbildungsplätze. Sie stellen jeden zweiten Arbeitsplatz in Hessen. In den Städten, Kommunen und Landkreisen sorgt der Mittelstand für regionale Wertschöpfung. Vor diesem Hintergrund sind wir uns einig, dass kleine und mittlere Unternehmen im Mittelpunkt unserer wirtschaftspolitischen Maßnahmen stehen müssen und stehen.Deshalb gibt es auch Unterstützung für den Mittelstand. Ich erinnere daran, dass wir das Vergabegesetz novelliert und in diesem Zuge mittelstandsfreundlicher gestaltet haben. Wir arbeiten daran, Bürokratie abzubauen. Es gibt z. B. den Einheitlichen Ansprechpartner auch in Hessen, und die Landesregierung setzt sich auf allen Ebenen dafür ein, dass die Politik auch in Europa und im Bund mittel- standsfreundlich ist.Und wir haben das Hessische Mittelstandsförderungsgesetz. Wenn man über ein Gesetz spricht, lohnt es sich, als Grundlage einen Blick in die Ziele des Gesetzes zu werfen, bevor man in die inhaltliche Debatte einsteigt. Ich stelle fest, dass das Gesetz unter anderem folgende Ziele hat: Existenzgründungen zu fördern und zu sichern, Unternehmensnachfolgen zu sichern, Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen sowie die Innovationsfähigkeit und den Technologietransfer zu verbessern. Ich finde es erst einmal grundsätzlich gut, dass ein solches Gesetz zur Förderung von kleinen und mittleren Unternehmen in Hessen existiert.Aber wir müssen natürlich in den aktuellen Zeiten auch feststellen, dass der Mittelstand vor enormen Herausforderungen steht. Da ist einmal die akute Energiekrise, die viele Unternehmen – egal, ob klein oder groß – an den Rand der Existenz treibt. Gut ist, dass die Bundesregierung derzeit Maßnahmen erarbeitet und sie dann ergreifen wird, um die zusätzlichen Belastungen durch die Energiepreis- steigerung abzufedern.Es geht nicht nur um die akute Herausforderung, sondern auch die mittel- und langfristige Herausforderung der Transformation zu einer klimaneutralen Wirtschaft benötigt massive Investitionen. Wir haben die Fragen der Digitalisierung und des Fachkräftemangels, der schon jetzt spürbar die wirtschaftliche Entwicklung ausbremst.
Auf den Fachkräftemangel möchte ich näher eingehen. Dem Landtag wird alle zwei Jahre der Hessische Mittelstandsbericht vorgelegt. Es lohnt sich, einen Blick hineinzuwerfen, weil darin viele und umfangreiche Maßnahmen, aber auch Zahlen, Daten, Fakten zum Mittelstand aufgegriffen und zusammengetragen sind. Darin steht unter anderem, dass bis 2024 in Hessen rund 175.000 Fachkräfte fehlen werden, davon 135.000 beruflich qualifizierte und 40.000 mit akademischem Abschluss. Das ist nicht erst 2024 spürbar, sondern bereits jetzt spüren wir in vielen Berufen und in vielen Regionen die Auswirkungen dieses Fachkräftemangels.Daher brauchen wir verstärkte Maßnahmen, um die Fachkräftesicherung in Hessen voranzubringen. Hessen ist hier aktiv bei der Aus- und Weiterbildung, bei der Ausbildungsplatzförderung oder bei der Aufstiegsprämie sowie bei der Frage, wie man ausländische Fachkräfte integrieren kann, beispielsweise durch das Programm „Wirtschaft integriert“; aber klar ist, dass uns diese Frage in Zukunft noch sehr viel stärker beschäftigen wird. Es geht nicht nur um die Besetzung der Arbeitsplätze, sondern auch darum, dass wir gute und gut bezahlte Arbeitsplätze in Hessen haben. Daher haben wir im HVTG, im Vergabegesetz, die Einhaltung von Tariflöhnen besser kontrollierbar gemacht. Denn auch uns ist klar: Mitbestimmung und Tariflöhne sind unzweifelhaft wichtig, und der größer werdende Niedriglohnsektor, auch bedingt durch den Rückgang der Tarifbindung, ist ein Problem für die hessische Wirtschaft. Aus meiner Sicht schießt aber der Vorschlag der SPD zur Änderung des Gesetzes – vielleicht mit gut gemeinter Intention- über das Ziel hinaus. Denn alle Unternehmen mit Betriebsrat sollen mehr Förderung bekommen, aber gleichzeitig heißt es, dass keine zusätzlichen finanziellen Mittel bereitgestellt werden.
Das bedeutet im Umkehrschluss, dass alle Unternehmen, die die SPD-Kriterien nicht erfüllen, dadurch weniger bekommen, dass die übrigen Unternehmen weniger erhalten; denn der Topf wird nach dem SPD-Vorschlag nicht größer. Gleichzeitig muss man auch wissen, dass das viele Unternehmen ausschließt, also die vielen Start-ups, die in der Regel keine formalen Mitbestimmungsmechanismen haben, die aber oft durch ihre Kultur und ihre Unternehmensaufstellung ganz andere Hierarchien und ganz andere Entscheidungswege haben.Wir reden gerade auf Bundesebene z. B. über die Mitarbeiterbeteiligung. Das ist ganz klar auch ein Aspekt, wie Mitbestimmung in Betrieben funktionieren kann. Aber es ist nicht anerkannt, weil sie laut SPD-Vorschlag keine erhöhte Förderung bekommen. Gleichzeitig ist der Zweck des Gesetzes, Existenzgründungen explizit zu fördern. Start-ups dadurch auszuschließen, halte ich nicht für sinnvoll und nicht für besonders logisch. Daher muss man sich das noch einmal anschauen. Zugleich beinhaltet der Vorschlag der SPD auch, dass Unternehmen garantieren müssen, drei Jahre am Standort Hessen mit einer bestimmten Lohnsumme zu bleiben. Schauen wir uns die aktuelle Situation an: Kein Unternehmer kann seriös garantieren, dass er in drei Jahren noch im gleichen Umfang an Lohn und Umsatz wie derzeit hier in Hessen sein wird.Gerade in der aktuellen Zeit müssen wir doch ganz gezielt die Unternehmen, besonders kleine und mittlere Unternehmen, unterstützen und da zielgerichtete Förderinstrumente aufsetzen.Da darf es nicht das Kriterium sein, ob es einen Betriebsrat gibt oder nicht, um die Unternehmen in dieser Krise zu unterstützen. Gleichzeitig sagen Sie: Na ja, wenn das Unternehmen, welches gefördert wird, nicht mehr da ist, dann zahlt bitte die Fördersumme plus 30 % als Strafe zurück. Das würde die Förderung nach dem Mittelstandsförderungsgesetz zukünftig unattraktiv und sehr unsicher machen. Das wird kein Unternehmen mehr in Anspruch nehmen. Es ist nicht Sinn der Sache, dass Fördergesetze nicht mehr genutzt werden. Ich bin sehr gespannt, was die Anzuhörenden hierzu sagen werden.
Um am Schluss noch etwas Persönliches zu sagen: Natürlich brauchen wir mehr Mitbestimmung, auch mehr Tarifbindung. Ich glaube aber nicht, dass es hilfreich ist, wenn hinter diesem durchaus ehrenwerten und wichtigen Ziel die Förderinstrumente des Landes grundsätzlich wirkungslos werden, weil sie eben kaum noch jemand in Anspruch nehmen kann. Daher sind wir gespannt, was die Anhörung bringt, und bedanken uns.
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