16. Februar 2023

Setzpunkt der FDP zur Kernfusion

Herr Präsident, sehr geehrte Damen und Herren!

Das Wichtigste möchte ich vorab sagen: Um Hessen spätestens bis zum Jahr 2045 klimaneutral zu machen, müssen wir vollständig auf erneuerbare Energien setzen. Die Technologien sind da. Sie werden seit Jahrzehnten eingesetzt. Wir müssen den Ausbau der Nutzung der erneuerbaren Energien jetzt beschleunigen.

Sie von der FDP kämpfen dagegen an. Sie präsentieren jetzt Ihre neue Lösung, nämlich eine Technologie,
die, das haben Sie selbst gesagt, seit 70 Jahren erforscht wird und bisher keinen Durchbruch hatte. Sie kann vielleicht in 25 Jahren zur Energiegewinnung eingesetzt werden. Das ist die Antwort der FDP-Fraktion auf die Energiepreiskrise. Das ist die Antwort der FDP-Fraktion auf den Klimawandel. Das ist eigentlich mehr als ein Ablenkungsmanöver. Sie wollen davon ablenken, dass Sie keine Antwort und keine Lösung für die Aufgaben der Zukunft haben.

Wir müssen uns mit aller Kraft auf das konzentrieren, was nötig ist. Wir müssen den Ausbau der
erneuerbaren Energien beschleunigen. Wir müssen die Potenziale der Solarenergie, der Windenergie,
der Geothermie und eingeschränkt auch der Bioenergie und der Wasserkraft nutzen.
Sie haben zu Recht über die Forschung gesprochen. Da möchte ich auch ansetzen. Natürlich ist
es wichtig, Alternativen der Energieversorgung zu erforschen. Wir können stolz auf das sein, was in
Hessen erforscht wird. An der Gesellschaft für Schwerionenforschung werden die Eigenschaften der
Atome entschlüsselt. Das ist die Grundlagenforschung auch für die Kernfusion. Nicht ohne Grund gibt es in Hessen, nämlich in Darmstadt, Ausgründungen aus einer hessischen Universität. Unternehmen aus diesem Bereich haben sich in Hessen angesiedelt.
Für die hessischen Universitäten und Hochschulen gilt die Freiheit der Wissenschaft. An den Hochschulen
wird selbst entschieden, woran sie forschen. Das Land unterstützt das mit dem LOEWE-Programm z. B. dann, wenn etwas besondere Exzellenz hat. Dazu gehört z. B. die Nukleare Photonik. Sie forschen genau an dem Laser, der jetzt bei der Kernfusion zum Einsatz kam. Das, was Sie für die FDP-Fraktion fordern, ist fast schon ideologiegetriebene Forschungspolitik. Anders kann man das nicht nennen. Sie erteilen der Wissenschaftsfreiheit an den Hochschulen eine Absage und wollen vorrangig eine Energieform erforschen. Das ist für mich das Gegenteil von Technologieoffenheit, das ist für mich eine falsche Fokussierung, die nicht wissenschaftlich, sondern ausschließlich politisch getrieben ist und die
daher in die falsche Richtung führt.


Wir haben in Hessen einen herausragenden Wissenschaftsstandort. Kernfusion ist auch ohne FDP- Vorfestlegung ein Bestandteil der hessischen Spitzenforschung. Wir brauchen wissenschaftlichen
Fortschritt dringender denn je, um die großen Herausforderungen unserer Zeit zu lösen, und Fortschritt
braucht Freiheit. Das müsste gerade die FDP doch wissen.
In der Kernfusion sehen einige die große Zukunft der Energieversorgung. Das Experiment, das im
Dezember in den USA geglückt ist, ist tatsächlich auch sehr interessant. Vorweggeschickt: Rechnet
man erst einmal den enormen Energiebedarf, den der Laser und die Infrastruktur gebraucht haben,
aus diesem Prozess heraus, kommt man auf das Ergebnis, dass erstmals mehr Energie erzeugt denn
als Input benötigt wurde, nämlich 0,2 kWh. Das ist ein sehr spannendes Ergebnis eines solchen Experiments. Aber bezogen auf die Energieversorgung ist doch diese Forschung Lichtjahre davon entfernt, eine wirtschaftliche, sichere und verlässliche Energiequelle zu sein.

Ja, wir brauchen für die hessische Energiewende die Kernfusion, und zwar die Kernfusion, die ohnehin
in der Sonne stattfindet: Wir brauchen die Solarenergie, wir brauchen die Windenergie. Alles andere sind zum jetzigen Zeitpunkt Luftschlösser. Zur Forschung gehört auch eine Chancen-Risiko-Betrachtung, die Sie hier nicht vorgenommen haben. Nicht alles, was wissenschaftlich machbar ist, ist in der konkreten Anwendung auch sinnvoll und verantwortbar. Deshalb muss die Forschung auch ganz genau hinschauen, insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit und auf Risiken der Kernfusion, und auch im Hinblick auf die entstehenden Abfälle; denn, auch wenn die Halbwertszeit der Fusion kürzer ist – wir reden hier von einem Zeitraum von 50 bis 100 Jahren –, ist auch das die Aufgabe von mehreren Generationen, und noch mehr Atommüll können wir einfach nicht gebrauchen.

Noch etwas ist mir wichtig: Ja, wir brauchen Forschungsförderung, keine Frage. Sie haben gesehen,
dass wir das von Ihnen indirekt angesprochene Unternehmen auch über EFRE und auch über Landesmittel
in einem Änderungsantrag im Haushalt unterstützen, weil es natürlich unser Interesse ist, innovative Unternehmen in Hessen zu stärken. Außerdem ist laserbasierte Kernfusion als Neutronenquelle
wichtig für unsere Medizin- und Halbleitertechnik in Hessen. Gleichzeitig, auch das will ich
ganz deutlich sagen, darf diese Forschungsförderung keinesfalls zulasten der erneuerbaren Energien
gehen. Das passiert in Hessen auch nicht.

Wir haben in Hessen eine umfangreiche Fördergrundlage im Hessischen Energiegesetz, auch über
die Klimarichtlinie, weil genau das jetzt gebraucht wird, um raus aus der Kohle und raus aus der
Atomenergie zu kommen. Hessen wird spätestens bis 2045 klimaneutral sein. Bis dahin müssen wir die gesamte Energieversorgung CO2-neutral aufgestellt haben. Selbst wenn Kernfusion in diesem Jahrhundert wirtschaftlich, verlässlich und sicher anwendbar wäre, ist das schlichtweg viel zu spät: Klimaneutral bis 2045 gelingt nicht mit Kernfusion, sondern nur mit den Erneuerbaren. Die sind jahrelang erprobt, die sind marktreif, und die sind auch wirtschaftlich. Die Energiewende kann auf die weiteren Experimente einfach nicht warten.

Jetzt kommen wir einmal zu dem eigentlichen Grund für diesen Antrag. Nach der Atomenergie, nach
dem Vorschlag, Fracking in Deutschland durchzuführen, ist das jetzt ein weiterer Versuch der FDP,
sich nicht zu dem Ausbau der Erneuerbaren, nicht zu dem Ausbau der Windenergie bekennen zu
müssen. Was Sie hier versuchen, ist absolut durchschaubar: Sie wollen mit dem großen Hype und der großen Euphorie in diesem Antrag davon ablenken, dass Sie in Hessen – trotz einiger Lippenbekenntnisse
auf Bundesebene, trotz dessen, dass Herr Lindner von „Freiheitsenergien“ spricht – jedes Windrad vor
Ort zu verhindern versuchen. Das versucht die FDP im Taunus, im Odenwald, in Nordhessen, und das
ist einfach nur schäbig.

Noch ein Punkt, der gerade für eine Partei, die sich Wirtschaftskompetenz zuschreibt, wichtig ist:
Natürlich brauchen unsere Wirtschaft und dieser Transformationsprozess, in dem wir uns gerade
befinden, Investitionssicherheit. Die Unternehmen, die heute am Ausbau der erneuerbaren Energien
arbeiten und dort investieren, müssen sich doch sicher sein, dass das auch in Zukunft noch der Weg
sein wird, den die Politik geht. Diese Planungs- und Investitionssicherheit muss die Politik geben.
Das war schon beim Raus, wieder Rein und wieder Raus aus der Atomkraft ein Problem, und noch
schlimmer war es bei der Streichung der Solarförderung von Philipp Rösler, die zu einem massiven
Einbruch der Solarindustrie in Deutschland geführt hat, für den die FDP verantwortlich ist, und was
auch dazu führt, dass wir heute bei der Solarindustrie so abhängig von China sind wie nie zuvor.
Deshalb braucht es klare Rahmenbedingungen, es braucht ein klares Zeichen an den Markt, dass
wir nicht nur heute auf Wind- und Solarenergie setzen, sondern auch in zehn, 20 und 50 Jahren,
und dass wir es nicht als Übergangstechnologie ansehen, sondern als Grundlage für die Energieversorgung heute und in Zukunft.

Mein Fazit ist: Wir brauchen technologieoffene Forschung, keine Frage. Kernfusion ist zweifellos ein
sehr spannender Forschungsgegenstand. Aber kein einziges seriöses Szenario geht aktuell davon
aus, dass die Kernfusion zeitnah einen Beitrag dazu leisten kann, bis 2045 klimaneutral zu werden.
Das Fundament der Energiewende in Hessen, im Bund und global bleibt der Ausbau der erneuerbaren
Energien, vor allem der Wind- und Solarenergie, und ich lade auch die FDP ein, weiter dafür
einzutreten. – Vielen Dank.

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