30.10.2019 – Plenum
Sehr geehrte Frau Präsidentin, sehr geehrte Damen und Herren! Ahmad ist 35 Jahre alt und vor vier Jahren nach Deutschland geflüchtet. Er hat in Afghanistan englische Literatur studiert und nach dem Studium dort unter anderem in einem Ministerium gearbeitet. Dann wurde sein Leben bedroht, und er musste seine Heimat verlassen. Im Landkreis Darmstadt-Dieburg macht er jetzt eine Ausbildung zum Kaufmann für Büromanagement und wird bald seinen Abschluss machen.
Oder Rehane: Rehane stammt aus Afghanistan und ist mit ihrer Familie in den Iran geflohen. Dort hat sie als Näherin unter schwierigen Umständen eine Schneiderei aufgebaut. 2015 ist sie mit ihrem Mann nach Deutschland gekommen. Hier wurde ihr Talent erkannt, und sie wurde an das Frankfurter Unternehmen Stitch by Stitch vermittelt. Rehane hat keinen Berufsschulabschluss, aber ihr Können – das merkt man ja schnell bei einem Handwerk wie Nähen – ist auf dem Niveau eines Meistertitels. Sie macht deshalb gerade eine Ausbildung, damit sie auch formal die Qualifikation hat, und im nächsten Jahr wird sie ihre Gesellenprüfung ablegen.
Der Syrer Mohamad hat in seiner Heimat einen Bachelor in Physik und einen Master in Strahlenschutz gemacht. Dann musste er als Kritiker von Assad seine Heimat verlassen. In Hessen hat er durch das Hessenfonds-Stipendium eine Förderung für seine Promotion erhalten. Er steht kurz vor dem Abschluss. Er spricht fließend Deutsch, er hat eine Ausbildung zum Strahlentherapeuten und ist schon jetzt eine Fachkraft, die in der hessischen Wirtschaft und in der Forschung dringend benötigt wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, das waren nur drei Beispiele, die zeigen, welche Bereicherung Geflüchtete für uns Hessen und für die hessische Wirtschaft und Forschung sind.
184.000 Fachkräfte fehlen laut IHK-Studie derzeit in hessischen Betrieben. Das stellt die Betriebe vor große Herausforderungen: Aufträge können nicht durchgeführt werden, Mitarbeiter müssen erhebliche Mehrarbeit leisten, und dringende Digitalisierungsprojekte beispielsweise müssen auf die Zukunft verschoben werden, weil schlichtweg die Leute dafür fehlen. Auf der anderen Seite sind in den vergangenen Jahren viele Menschen nach Europa, nach Deutschland und auch nach Hessen geflüchtet.
Sehen wir diese Menschen als Chance, als Bereicherung für unsere Gesellschaft, als Chance gegen den demografischen Wandel und als Chance gegen den Fachkräftemangel in Unternehmen.
Deshalb bringt die Hessische Landesregierung beide Seiten zusammen, z. B. über das Programm „Wirtschaft integriert“, das teilnehmende Geflüchtete von der Berufsorientierung bis zum Abschluss unterstützt und durchgängig mit Sprach- und mit Lernförderung begleitet. Die Abschlusszahlen dieses Programms sprechen durchaus für sich: 85 Teilnehmer waren dieses Jahr in der Prüfung, von denen 58 diese Prüfung auch bestanden. Alles Menschen – das muss man beachten –, die erst seit kurzer Zeit in Deutschland leben. Ich finde, das ist eine beachtliche Zahl.
Die meisten von ihnen sind von ihren Ausbildungsbetrieben übernommen worden. Sie arbeiten jetzt als Fachkraft für Lagerlogistik, als Fertigungsmechaniker in der Industrie, dem Handel oder dem Handwerk – also alles Branchen, die von dem Fachkräftemangel betroffen sind, die Schwierigkeiten haben, ihre offenen Ausbildungsstellen oder ihre Stellen zu besetzen. Hier helfen die Programme der Landesregierung.
Aber auch in der Gesundheitswirtschaft, in der Alten- und Krankenpflege und in medizinischen Berufen ist es schwierig, Fachkräfte zu finden. Deshalb gibt es über die Programme „Sozialwirtschaft integriert“ und „Pflege in Hessen integriert“ ebenso gute Unterstützungsangebote für die Unternehmen aus der Sozialwirtschaft.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Handwerk, Mittelstand und Großunternehmen suchen händeringend nach Fachkräften, während zahlreiche hoch motivierte Geflüchtete in Hessen leben und nur darauf warten, in das Arbeitsleben in Deutschland einzusteigen.
Mit Programmen wie „Wirtschaft integriert“, „Sozialwirtschaft integriert“ oder dem Hessenfonds-Stipendium helfen wir, dieses enorme Potenzial abzurufen und so die Wettbewerbsfähigkeit der hessischen Unternehmen zu stärken und den Geflüchteten eine Perspektive zu geben.
Verstehen wir Geflüchtete endlich als das, was sie sind: dringend benötigte und geschätzte Kolleginnen und Kollegen, die mit Talent, mit innovativen Ideen und Motivation Hessens Wirtschaft nach vorne bringen können. – Vielen Dank.
Auszug aus dem Plenarprotokoll der 25. Sitzung, S.1866
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